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Unser Zimmerermeister Lukas Wiewel im Interview

Glandorfer Lukas Wiewel arbeitet im wohl gefährlichsten Job der Region

Hoch hinaus: Laut Unfallstatistik sind Zimmerer am häufigsten von meldepflichtigen Arbeitsunfällen betroffen.Hoch hinaus: Laut Unfallstatistik sind Zimmerer am häufigsten von meldepflichtigen Arbeitsunfällen betroffen. (Foto: Bauunternehmen Gründker/Lukas Wiewel)

Osnabrück/Glandorf. Manche Jobs sind gefährlicher als andere. Statistiken zeigen, dass das Unfallrisiko bei Zimmerern am Höchsten ist. Besonders dann, wenn es hoch hinaus geht. Einer von ihnen ist der Glandorfer Lukas Wiewel.

„104.000 Meldepflichtige Arbeitsunfälle gab es im vergangenen Jahr deutschlandweit in der Bauwirtschaft und den baunahen Dienstleistungen“, konkretisiert Bernhard Arenz, Leiter der Hauptabteilung Prävention bei der BG Bau. Mit 52 meldepflichtigen Unfällen pro 1000 Vollarbeitern im Jahr 2020 liegt die BG Bau klar über dem Durchschnitt aller gewerblichen Wirtschaftszweige von 23 meldepflichtigen Unfällen pro 1000 Vollarbeitern.

Die meisten tödlichen Unfälle durch Abstürze

„Auf der Baustelle gibt es verschiedene Störfaktoren, wie zum Beispiel den Straßenverkehr und das Wetter“, erläutert Arenz. Die Arbeitsprozesse in der Bauwirtschaft seien dynamisch und können nicht exakt gesteuert werden. Deswegen müssen sich die Arbeiter ständig auf neue Situationen einstellen, was herausfordernd, aber auch spannend sei. Das größte Risiko haben hochgelegene Arbeitsplätze, wie Leitern, Dächer und Gerüste: Das Reich von Dachdeckern, Gerüstbauern und Zimmerern. „Von den 97 tödlichen Unfällen im Bereich der BG Bau im vergangenen Jahr waren 44 Absturzunfälle“, so Arenz. Damit ist es die häufigste Ursache für tödliche Unfälle.

Hoch über den Dächern ist der Arbeitsplatz der Zimmerer. (Foto: Bauunternehmen Gründker/Lukas Wiewel)

„Seit mehreren Jahren haben Zimmerer die höchste Unfallquote von 140 meldepflichtigen Arbeitsunfällen pro 1000 Vollarbeiter“, berichtet Arenz weiter. Das seien pro Jahr 6000 meldepflichtige Unfälle, jeder achte Zimmerer sei jährlich betroffen. Jedoch: „Die Zahl stagniert seit mehreren Jahren“, berichtet Arenz.

Folgen für Menschen, Kosten und Gesellschaft

„Abstürze verursachen extrem hohes menschliches Leid“, beschreibt er. Neben dem Menschen, der eindeutig im Vordergrund stehe, verursachen Ab- und Durchstürze laut Arenz zudem mit weitem Abstand die meisten Kosten. Dazu komme, dass Verunglückte unter Umständen sehr lange ausfallen oder gar nicht in den Beruf zurückkehren. „Dadurch gehen Fachkräfte verloren.“

Zu den Unfällen kommen noch Berufskrankheiten: Lärmschwerhörigkeit, Asbestose und Lungenkrebs, Verletzungen der Lendenwirbelsäule durch schweres Heben und Tragen. Seit 2015 wird auch Hautkrebs aufgrund der natürlichen UV-Strahlung zu den Berufskrankheiten gezählt.

„Meine Kollegen und ich fühlen uns sicher“

Doch wie sieht es ein Zimmerer selbst? 2008 begann Lukas Wiewel seine Ausbildung zum Zimmerer bei dem Glandorfer Bauunternehmen Gründker. 2017 folgte der Meister. „Ein gewisses Risiko besteht immer, bei allen Berufen“, relativiert Wiewel. Natürlich müsse man aufpassen, aber der Beruf sei nicht grundsätzlich gefährlich. „Meine Kollegen und ich fühlen uns sicher. Und wenn wir uns mal unsicher mit etwas fühlen, dann machen wir das auch nicht. Dann ruft man an und es wird nachgebessert“, erläutert er.

Lukas Wiewel hat bis heute die Entscheidung, Zimmerer zu werden, nicht bereut. (Foto: Sabrina Holthaus)

Im Arbeitsschutz habe sich in den Jahren vieles getan. „Wir sind da gut aufgestellt“, ist Wiewel überzeugt. Auch wenn die Sicherheitsprüfungen und Einweisungen mehr Arbeitsaufwand bedeuten – es sei wichtiger, die Sicherheit der Arbeiter nicht zu vernachlässigen.Was bei einem Unfall passieren kann, hat Wiewel noch nicht am eigenen Körper, aber aus nächster Nähe erlebt. Ein neben ihm stehender Kollege stürzte vom Dach. Er fiel wohl ins Sicherheitsnetz, doch dieses gab nach und so fiel er auf den Boden einer Reithalle. „Da waren wir ziemlich geschockt, an dem Tag ist auch nichts mehr gelaufen“, erinnert sich Wiewel. Der Kollege wurde gleich versorgt und arbeitet nach einer langen Krankenphase wieder als Zimmerer. Wiewel erinnert sich, wie er nach dem Unfall das Dach verlassen hat: „Da bin ich dann ganz vorsichtig gelaufen.“

Hohe Absturzgefahr beim Richten

Besonders gefährlich sei das Richten, also das Aufsetzen des Dachstuhls. „Das birgt eine besonders hohe Absturzgefahr, weshalb es wichtig ist, mit Gerüsten und Netzen das Risiko zu minimieren“, so der Zimmerermeister. Sollte dies aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich sein, greife man auf persönliche Schutzausrüstung wie beispielsweise Sicherheitsgurte zurück.

Doch es gebe auch viel Positives an dem Beruf. „Man sieht das Ergebnis und es bleibt lange erhalten“, beschreibt Wiewel. Dächer betrachten und zu wissen, „da habe ich mitgeholfen“, mache ihn stolz. Der gebürtige Glandorfer hat auf der Suche nach der richtigen Beschäftigung einige Praktika gemacht. Der Beruf des Zimmerers sagte ihm dann sofort zu. „Ich mag die Arbeit mit Holz und die Tradition“, beschreibt Wiewel. Besonders die Restaurierungen findet er interessant. „Das ist immer sehr spannend.“

Safety first: Prävention ist wichtig

Auch Arenz von der BG Bau hat eine Lehre im Bau gemacht. Für ihn ist der Zimmerer ebenfalls ein spannender Beruf. Deshalb sei es umso wichtiger, die notwendigen präventiven Schritte zu gehen, um das Risiko eines Unfalls oder einer Berufskrankheit zu minimieren. „Die BG Bau arbeitet in der Prävention eng mit Verbänden der Bauwirtschaft zusammen. So wurden lebenswichtige Regeln entwickelt“, beschreibt Arenz.

„Die individuelle Unfallgefahr ist in erster Linie davon abhängig, wie die Vorgaben des Arbeitsschutzes eingehalten werden. Denn werden diese konsequent umgesetzt, dann kann in allen Bereichen auch sicher gearbeitet werden“, sagt Birte Hagedorn von der BG Bau zu der Thematik. Auslöser von Unfällen seien oft Unwissenheit, Routinen oder Bequemlichkeit. Deswegen habe man bei der BG Bau ein verhaltensorientiertes Präventionsprogramm ins Leben gerufen, um für die Gefahren und Risiken zu sensibilisieren. „In diesem Kontext stellen wir anhand echter Beispiele vor, wie wichtig Arbeitssicherheit auf Baustellen ist und wie schnell eine Unachtsamkeit zu einem Unfall führen kann, der Menschen für ihr Leben prägt.“

Dazu, so Arenz, habe man ein Arbeitsschutzprämiensystem, um innovative Sicherheitstechniken zu fördern. „Der Arbeitsschutz muss mitgedacht werden und in den Montageprozess einfließen“, erläutert er. (NOZ: Sabrina Holthaus, Stella Blümke)

Neue Osnabrücker Zeitung, 26.06.2021

 

03.07.21